Blackmail – Tempo Tempo
Die Reise Blackmails geht weiter. Den Durchbruch wollen sie lange schon nicht mehr erzwingen, schließlich sollte man sich elf Jahre nach dem Debütalbum auch halbwegs emanzipiert haben. Nach der Majorphase kam zuletzt 2006 „Aerial View“, mit dem die Koblenzer nicht ganz zufrieden waren. Anstatt wieder ewig an der nächsten Platte herumzuschrauben, setzte man sich ein Limit von acht Wochen (inklusive großzügiger Poker-Freiräume), um „Tempo Tempo“ einzuspielen. Die Ansichten, was der Titel bedeutet, sind verschieden. Musikalisch sind Blackmail nicht notwendigerweise schneller geworden. Nur noch eine Spur besser.
Der Opener „False Medication“ dürfte dem ein oder anderen bereits bekannt vorkommen. Gegen Jahresbegin wurde der Song zum Gratis-Download präsentiert, um das Album vorzustellen. Sicherlich ein geschickter Schachzug, denn hierbei handelt es sich um ein rockendes Monster Marke Blackmail. Zu Beginn wagt Aydo noch ein Frage-und-Antwort-Spiel mit der Band. Erst spät entfaltet dieser Track seine volle Wirkungskraft zwischen Chor und dezenten Placebo-Vibes. „Mine Me I“ präsentiert sich deutlich euphorischer, rockt frei von der Leber weg. Klingt einladend eingängig, gleichzeitig ist die Melodie vertrackt genug. Hinten raus wird es bombastisch. Nun folgen die beiden Club-Singles. „(Feel It) Day By Day“ startet zögerlich, ergibt sich aber schließlich in einen großartigen Refrain mit mehrstimmigem Gesang. Blackmail wirken verdammt groß, die lebhaften Drumfills sorgen für entsprechende Dynamik. „The Good Part“ hingegen ist eine Überraschung, haben die Koblenzer doch selten so ‚poppig‘ agiert. Siehe auch das eigenartige Instrument, das man als Schiffmannsorgel identifizieren könnte. Es fehlt eigentlich nur ein Chorus zum Glück, aber vielleicht macht der Song gerade deswegen Laune – angenehm anders.
Selbst im reichen Backkatalog Blackmails ist „It’s Always A Fuse To Live At Full Blast“ ein Standout. Eröffnet orientailsch, wird von Carlos Ebelhäusers schrubbendem Bass angetrieben und nimmt nach zahlreichen Explosionen epische Dimensionen an. Das Morgenland klopft an die Tür, Vergleiche zu „Kashmir“ dürfen gezogen werden, während Bruder Kurt wie aus dem Nichts ein fantastisches Riff zaubert, das das Feuer bis zum lang gezogenen Fadeout am Lodern hält. „Shshshame“ soll als reguläre Single auch die Videostationen erobern. Die Wahl ist durchaus nachvollziehbar, handelt es sich doch um einen soliden, geradlinigen Blackmail-Rocker, der weniger auf Experimente setzt. Einzig ein ausgedehntes Gitarrensolo muss sein. Nachdenkliche Töne setzt es in „Speedluv“ mit entsprechendem Hoffnungsschimmer im Refrain. Blackmail wirken nachdenklich, spielen mit Effektgeräten und bauen über mehrere Breaks ein grandioses Finale auf. „U Sound“ hebt sich aus dem Nebel eines gewaltigen Intros und bietet – wer hätte es gedacht, druckvollen Midtempo-Rock. Die Gitarren scheinen stetig zu explodieren, während Aydo Abays Stimme wie eine Feder darüberschwebt.
Das wüste Riff von „The Mentalist“ lässt eine gewaltige Assoziation zu: Muse sind nach Deutschland ausgewandert. Das erinnert doch verdammt an die ersten beiden Alben, während Streicher für einen poppigen Kontrast sorgen. Würde tatsächlich zum Powertrio passen, auch wenn Blackmail ihre ganz individuellen Ecken und Kanten einbauen. Besonders der instrumentale Teil lässt mit der Zunge schnalzen. Damit will „Swinging Exit Pleasure“ nichts zu tun haben. Statt versuchtem Bombast gibt es entspannten Midtempo-Rock mit leicht nachdenklicher Miene. Hat das Potential zu einem typischen Albumtrack, ist grundsolide und amtlich. Der Übergang zum großen Finale erinnert an Radiohead. „Pas De Tristesse“ kommt akustisch mit entrücktem Gesang, der einem Thom Yorke Tränen in die Augen treiben dürfte. Mit einem gewaltigen Drumhit legt „So Long Goodbye“ los. Klingt verdammt groß, druckvoll und doch kontrolliert. Erneut sind es die Details, die aus einem guten Song einen Wahnsinnstrack machen. Während der zweiten Strophe schreit die Gitarre wie am Spieß, dringt durch und durch. Ein weiterer Drumhit markiert das Ende.
Natürlich haben Blackmail wieder ein fantastisches Album abgelegt, wie sollte es auch anders sein? Kurt Ebelhäuser glänzt nicht nur als Gitarrist, seine Produktion ist druckvoll, stimmig und passt perfekt zur Band. Aydo Abay ist in Topform, die Riffs singen sozusagen mit ihm. Hits gibt es gleich mehrere, Kompromisse sucht man vergebens. Empfehlenswert ist die Limited Edition im schicken Digipack mit „The Sensualist“ (angelehnt an „The Mentalist“) und dem Titeltrack „Tempo Tempo“. Der Kauf lohnt sich.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 28.03.2008
Erhältlich über: City Slang (Universal Music)
Website: www.blackmail.de
Facebook: www.facebook.com/thisisblackmail
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