Sigur Rós – Kveikur
Als im Mai 2012 nach langer Auszeit „Valtari“ erschien, meinte man, Sigur Rós würden sich weiterhin im Dornröschenschlaf befinden. Anstatt bei ruhigen Ambient-Klängen hängen zu bleiben, waren diese bestenfalls Übergang zu neuer Scharfkantigkeit. Nach dem Ausstieg von Keyboarder Kjartan „Kjarri“ Sveinsson arbeiteten die Isländer erstmals seit ihrem Debütalbum „Von“ (1997) wieder als Trio. Welche Unmengen an Energie dabei freigesetzt worden sein müssen, zeigt „Kveikur“ (dt. „Docht“), eine unerwartet scharfkantige Platte.
Mit scharrendem Bassgewitter und intensiven Drums meldet sich der Opener „Brennisteinn“ zu Wort. Schroff, ungeschliffen wirken Strophe und Refrain, Jónsis Gesang bewegt sich in vergleichsweise geregelten Bahnen, der Ambient-Ausflug ist sperriger Heavyness gewichten, obwohl man sich gen Chorus beinahe eingängig gibt. Kurz vor der Vier-Minuten-Marke schließlich der Bruch: Kopfstimme, hoppelnder Bass, wüstes Krachfinale, langes, getragenes Outro – alles an Bord, was Sigur Rós groß gemacht hat. Das gilt auch für „Ísjaki“, einen der zugänglicheren Tracks der neuen Platte. Die Harmonien hätten auch auf das vermeintliche Hippie-Album „Með suð í eyrum við spilum endalaust“ gepasst, die psychedelischen Streicher – vermutlich erneut aus dem Hause Amiina – abstrahieren und intensivieren das Lied zu gleichen Teilen.
Natürlich bleibt es beileibe nicht so freundlich. In „Bláþráður“ schwebt Jónsi über komplex arrangierten Schlagzeug-Schemata und entrückten Gitarren, während „Yfirborð“ zwischen trügerischer Ruhe und dezent hektischer Aufbruchsstimmung pendelt. Wer es schroff mag, wird beim Titeltrack fündig. Zu Beginn von abstrakten Klangschleifen durchzogen, drängt der Gesang nach und nach in den Vordergrund, tritt den manischen, entfernt an Nine Inch Nails erinnernden Wellen energisch entgegen. Nach ca. drei Minuten wird es hart, beinahe schon aggressiv und erneut verstörend. Welche Schleife hier nun was bzw. wen überragt, ist nicht unbedingt klar. Das kakophone Finale wirft Fragen auf, überspringt dafür die Antworten.
Erinnerte „Valtari“ entfernt an das Harmoniebedürfnis von „( )“, so paart „Kveikur“ den dezent psychedelischen Wahnsinn des Debüts „Von“ mit dem druckvollen, energischen und deutlich prunkvollerem Auftreten des Durchbruchs „Ágætis byrjun“. Zwar sind die Songs insgesamt ein wenig kürzer, in manchen Momenten gar eingängig geraten, doch scheint es, als wollten Sigur Rós ein Statement abgeben. Sie sind noch da, sie können nach wie vor die Zähne fletschen, sie verstehen sich auf kunstvoll arrangiertes Chaos und avantgardistischen Biss – eine Platte ohne Makel.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 14.06.2013
Erhätlich über: XL Recordings / Beggars Group (Indigo)
Website: www.sigur-ros.co.uk
Facebook: www.facebook.com/sigurros
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