Disillusion – The Liberation
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Tool haben es eben erst vorgemacht, jetzt legen Disillusion nach. Tatsächlich hat die letzte Platte der deutschen Prog-Death-Band unglaubliche 13 Jahre auf dem Buckel, seither gab es mit „Alea“ nur einen einzigen Track. Mit runderneuertem Line-up machen sie nun dort weiter, wo sie auf „Gloria“, eigentlich sogar auf dem Debüt „Back To Times Of Splendor“ aufgehört hatten. Das Comeback „The Liberation“ erweist sich als musikalisches Happening, für das Frontmann Andy Schmidt stolze zwei Jahre an Songwriting-Arbeit investierte. Das lohnt sich, das hört man an allen Ecken und Enden.
Braucht die Welt nach all der Zeit überhaupt noch eine neue Disillusion-Platte? Knapp 58 lebhafte, aufwühlende Minuten stellen diese lachhafte Frage erst gar nicht, sondern liefern großartige Momente zuhauf. Selbst vergleichsweise kurze Episoden, wie das ’nur‘ sieben Minuten lange „A Shimmer In Darkest Sea“, reißen immer wieder aufs Neue von den Sitzen. Was im ersten Drittel noch wie zögerliches Understatement anmutet, legt schließlich hymnische Brillanz frei und wächst immer weiter. Der Refrain hat etwas Aufwühlendes an sich und brennt sich ein, nur um vom anschließenden Titelsong in die Knie gezwungen zu werden. Das wilde Epos bringt alles mit, fiese Growls inklusive. Ein Hauch von Death Metal ist eigentlich immer dabei und verleiht der Platte eine gewisse Gefährlichkeit. Gerade dieser Exkurs schäumt immer wieder über, nur um sich im richtigen Moment zurückzunehmen und direkt zu schwelgen.
Freilich, Disillusion können noch härter. Der Mittelteil von „Wintertide“ überrollt förmlich mit seinen manischen Druckwellen, quengelnden Gitarren und ultra-aggressiven Vocals im Auge des Sturms. Erinnerungen an Borknagar werden wach, bevor die feine Prog-Klinge ihren großen Auftritt hat und die zweite Hälfte gekonnt ausleuchtet. „The Mountain“ arbeitet hingegen auf den steten Wutausbruch hin, der allerdings ausbleibt. Virtuose Gitarrenarbeit, bewegende Nachdenklichkeit und angedeutete Eruptionen zu Beginn arbeiten mit Drama, mit Emotion, mit dem Einreißen von Barrieren und Wänden.
Wohin die Reise geht – oder zumindest gehen soll – zeigt sich erst nach dem zweiten, dritten Durchlauf. „The Liberation“ erinnert im besten Sinne an Opeth, bevor diese komplett dem 70s-Prog-Rock verfallen waren. Zart mäandernde Klangwände kollidieren mit katastrophaler Wut, innere Zerrissenheit trifft auf die Schönheit des Moments. Gerade die drei Epen arbeiten mit höchst wechselhaften, sich teils widersprechenden Gefühlsregungen, bohren in den Wunden und reißen die Arme gen Himmel. Was genau auf der dritten Disillusion-Platte passiert, lässt nicht so recht in angemessene Worte kleiden. Es ist großartig, herausragend und ein Kandidat für die vorderen Plätze der Jahresbestenlisten – das steht fraglos fest.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 06.09.2019
Erhältlich über: Prophecy Productions (Soulfood Music)
Website: disillusion.de
Facebook: www.facebook.com/disillusionBand
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