The Hirsch Effekt – Kollaps
Platz 21 in Deutschland für „Eskapist“ im August 2017 – der Charterfolg gibt The Hirsch Effekt recht. Nur wenige derart extreme und komplexe Bands können sich über solche hohe Weihen freuen, was natürlich für musikalische Qualität und eine starke Fanbasis spricht. Die subversiven Fragestellungen des Vorgängers haben sich die Math-Progger behalten und beleuchten eine Art Unwetter, das sich über den Köpfen der Gesellschaft austobt, aus der Sicht verschiedener betroffener Protagonisten. „Kollaps“ nennt sich dieses Konzeptalbum, und der Name ist selbstverständlich Programm.
Die Regler gehen ein weiteres Mal auf die Elf, der Wahnsinn ist sowieso stets an Bord. Das hat bei The Hirsch Effekt Methode und macht Sinn. „Noja“ wagt sich von Anfang an weit hinaus mit seinem gequälten Auftakt zwischen Klargesang, Growls und angedeuteten Blasts, bevor der erste labyrinthartige Sprint folgt. Geifernde Math-Salven, ästhetisch anmutende Neo-Prog-Flächen und sogar ein kurzer Rap geben sich die Klinke in die Hand. Während man sich über diese Serie an Eindrücken noch wundert, ist das Trio längst mehrere Türen weiter. „Domstol“ ist ein weiterer Leckerbissen, der sich von gefühlvollen, beinahe poppigen Momenten zu Patton’scher Stimmakrobatik hangelt. Im Hintergrund werkelt die Polyrhythmik, duellieren sich Gitarre und Bass, zerrt der Exkurs in mehrere Richtungen. Am Höhepunkt kehrt die eingängige Melodie zurück, alles ist eitel.
Wer jetzt schon überfordert sein sollte, muss sich nun ganz warm anziehen. Der geradezu toxische Bounce von „Bilen“ stimmt aus dem Nirgendwo Crossover-Chaos an, dissonante Elektronik treibt die Entfremdung voran. Über weite Strecken meint man sogar einen straighten Metal-Track zu hören, wüste Nackenschläge in unterschiedliche Himmelsrichtungen natürlich inklusive. Eine gefühlte Schlinge – ohne zu wissen, woher diese kommt – zieht sich zu. Was sie zu sagen hat? Kein Plan, aber der nahezu Townsend’sche Schönklang von „Deklaration“ veführt, derbe Einsätze hin oder her. Im Titelsong wird es ellenlang und bedrohlich. Kaum scheint das Nervenkostüm zum Bersten gespannt, bricht „Agera“ mit verqueren Prog-Harmonien aus dem Dickicht.
Nach dem ersten Schockmoment fügt sich die Summe der einzelnen Teile zu einem weiteren Leckerbissen zusammen. Stillstand bleibt bei The Hirsch Effekt ein Unwort. Natürlich fällt zunächst der kurze Rap-Part auf, doch insgesamt scheinen die an Sludge angelehnten Anteile zugunsten der feinen Klinge zurückgenommen worden zu sein. Die Intensität auf „Kollaps“ ist unverschämt hoch, die Ästhetik ein komplettes Kapitel für sich. Abermals überfordert das deutsche Trio im besten Sinne – lyrisch wie musikalisch – und erweist sich abermals als Mindfuck-Garant. Was für ein bärenstarker Trip.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 08.05.2020
Erhältlich über: Long Branch Records (SPV)
Website: www.thehirscheffekt.de
Facebook: www.facebook.com/thehirscheffekt
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