Our Oceans – While Time Disappears
Nach seiner Zeit bei so illustren, technisch anspruchsvollen Bands wie Cynic und Exivious suchte sich Tymon Kruidenier vor einigen Jahren eine neue Herausforderung und gründete gemeinsam mit Robin Zielhorst und Yuma van Eekelen Our Oceans. Insgesamt deutlich rockiger als seine bisherigen Projekte unterwegs, widmet sich das Trio kunstvollen, progressiven Klängen moderner Ausprägung mit einem hohen Level an Musikalität. „While Time Disappears“ ist bereits ihr zweites Album.
Der Titel dieses Zweitlings passt wie Faust aufs Auge, denn seit dem eponymen Debüt sind fünf Jahre vergangen. Kruidenier widmet sich textlich dieser Zeitspanne und beleuchtet persönliche Höhen und Tiefen, der plötzliche und unerwartete Sturz in einen emotionalen Abgrund, nur um sich doch wieder aufzurappeln. Eine gewisse Düsternis begleitet diese Platte und entlädt sich unter anderem in „Your Night, My Dawn“. Selbst für Our Oceans fällt dieser Song ungewöhnlich aus mit seiner schleppenden, elektronischen Ausrichtung, den endlosen Loops und an TripHop erinnernden Drum-Patterns. Dass im direkten Anschluss „You Take“ das Laut-Leise-Spiel sogar in metallisch angehauchte Gefilde treibt, passt natürlich prima. Etwas Muse hier, viel 22 da, dazu enorme emotionale Bandbreite – ein spannender Exkurs.
Währenddessen sind Our Oceans gefühlt bereits drei Türe weiter. Der poppige und zugleich schroffe Opener „Unravel“ umreißt weite Teile dieser Platte prima, vor allem die urplötzliche Abfahrt in die Unterwelt, von herzzerreißendem Falsett-Gesang eingeleitet und durch unerwartete Screams veredelt. Furioser wird es nur im Uptempo-Giganten „Face Them“, der seine gesamte Art- und Prog-Energie ins angedeutete Chaos stürzt und gleich mehrere rhythmische Spagate vollführt. Der instrumentale Mittelteil ist nur einen Wimpernschlag von The Mars Volta entfernt, die Auflösung geht im besten Sinne an die Substanz. Das Spiel mit den Erwartungen von „The Heart’s Whisper“ kommt ebenfalls gut. Während Kruidenier in höchste Höhen vordringt, setzt es beinahe cineastisches Drama. Kalter Schweiß sammelt sich auf der Stirn.
Wiederholt reitet die eierlegende Wollmilchsau durch und rüttelt kräftig am Nervenkostüm. Starke Kost war von Our Oceans zu erwarten, aber so wild und wechselhaft vielleicht doch nicht. Zwischen feinsinniger Balladeske, TripHop-Weisheiten, höllischen Art-Prog-Abfahrten und wütenden Ausschlägen gen Core und Metal deckt „While Time Disappears“ alles ab. Klar, das muss man erst einmal sacken lassen, denn die ersten Durchläufe können überfordern. Mit guten Kopfhörern und etwas Sitzfleisch erkundet, ergibt sich ein musikalisches Wunderwerk, ein vielschichtiger Leckerbissen, der voller Überraschungen steckt und zugleich die schwere Zeit des Protagonisten auf fantastische Weise greifbar macht. Sicherlich nicht immer einfach und hochgradig anspruchsvoll, dafür überaus lohnenswert – ein starkes zweites Album.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 27.11.2020
Erhältlich über: Long Branch Records (SPV)
Website: www.ouroceans.net
Facebook: www.facebook.com/OurOceans
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