Long Distance Calling – Ghost
Tolles Album aufgenommen und dann weitestgehend zuhause gestrandet: Long Distance Calling teilten im vergangenen Jahr das Schicksal vieler anderer Bands. Die Post-Rock-Veteranen ließen sich allerdings nicht in ihrer Kreativität beschneiden und griffen ein erprobtes Konzept erneut auf. Ende November zog man sich für einige Tage in ein abgelegenes Landhaus zurück und nahm eine per Crowdfunding finanzierte Jam-EP auf. Wenn man so will, ist „Ghost“ der spirituelle Nachfolger von „Nighthawk“ aus dem Jahr 2014, doch würde dieser schliche Vergleich alleine dieser Platte nicht annähernd gerecht werden.
Schnell ist mit „Seance“ ein erster Favorit gefunden, wenngleich es der Song alles andere als hektisch angeht. Acht mächtige Minuten nehmen sich alle Zeit der Welt für den langen, entspannten Aufbau. Long Distance Calling beziehen in der ersten Hälfte ihre gesamte Energie aus der Elektronik, arbeiten sich gemächlich heran und erdrücken schließlich mit wuchtigen, schneidenden Gitarrenwänden, die sich in weiterer Folge kontinuierlich wandeln. Das kurze, kompakte „Black Shuck“ wählt einen ähnlichen Aufbau, bloß im Zeitraffer vorgetragen. Die Drumpatterns in der zweiten Hälfte, begleitet von schroffer Widerstandsfähigkeit, kommen gut.
„Negative Is The New Positve“ etabliert sich als zweiter Gigant in vielfacher Hinsicht, denn neben extensiver Überlänge rufen Long Distance Calling erneut alles ab. Die bedrohliche, unruhige Grundstimmung kommt gut, die urplötzlichen Zäsuren mit beklemmenden Ambient-Exkursen und Spoken-Word-Samples greifen das Nervenkostüm an. Kaum glaubt man, es sei alles gesagt, startet die Band nochmals kurz durch. Das flirrende, luftige „Old Love“ klingt über weite Strecken wie ein Exkurs der frühen Alben, und auch „Fever“ wohnt eine durchaus klassische Energie inne – vertraut und doch erfrischend.
Es kribbelt ganz gewaltig. Long Distance Calling nehmen den Schwung von „How Do We Want To Live?“ mit und bewegen sich zwar musikalisch in über weite Strecken ähnlichen Gefilden, lösen sich jedoch zugleich komplett von dessen Auftreten los. „Ghost“ scheint somit ein Widerspruch in sich zu sein, reflektiert jedoch ’nur‘ genau das, was von einer Jam-EP erwartet werden darf – das Zusammenfinden von rohen Ideen und die Suche nach dem perfekten Klangbogen. Und genau diese Suche reißt sofort mit – ein weiteres wunderbares Gustostückerl, das sofortige Lust auf eine Fortsetzung macht. Nach all den Jahren bleiben Long Distance Calling eine Bank und finden immer noch packende Ansätze in ihrem sich ständig drehenden Universum.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 26.02.2021
Erhältlich über: Avoid The Light Records
Website: www.longdistancecalling.de
Facebook: www.facebook.com/longdistancecalling
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