Amenra – De Doorn
Die Messen sind (vorerst) gelesen: Knapp vier Jahre nach „Mass VI“ melden sich Amenra mit einem neuen Studioalbum zurück, das einiges anders macht. Entstanden sind die neuen Songs im Rahmen zweier Feuerrituale – rund um brennende Skulpturen bzw. Statuen gespielte Konzerte, eines davon zum 20jährigen Bestehen der Band – und wurden später weiter ausgearbeitet, um das besondere Momentum dieser Performance auf Platte zu transportieren. Diese heißt „De Doorn“ und packt gleich mehrere Aha-Momente aus.
„Ogentroost“ eröffnet als eben solcher und scheint minutenlang in reduzierter, meditativer Schwere zu verharren. Düstere Riffs erheben sich in Zeitlupe aus dem Nebel, die erste bleierne Post-Metal-Explosion naht. Nur versteht man nun noch weniger von den Vocals, denn Colin Vaneeckhout sowie die verstärkte Präsenz von Oathbreaker-Sängerin Caro Tanghe verabschieden sich aus englischen Sphären und erklären Flämisch zur neuen Hauptsprache. Zwischen himmlischen Einschüben, frustierter Wut und Verzweiflung am Anschlag sowie brachialem Kargland ergibt sich ein ätherisches Wechselbad der Gefühle, reich an Atmosphäre und Intensität. Und das war bloß das erste Kapitel.
Und abgesehen von der neuen Sprachwahl? Amenra klingen so mitreißend und souverän wie eh und je, wiewohl sie ihren ritualistischen Ansatz nun, pardon, feuriger und zerstörerischer auslegen, sofern das überhaupt möglich ist. Das monolithische „Het Gloren“ überrascht mit angedeuteter Melodik nach knapp fünfeinhalb Minuten, scheint das gemächliche Post-Doom-Sludge-Gebräu mit Spuren von Harmonielehre zu befeuern, bevor der Absturz in den untiefen Abgrund einer ellenlangen Zäsur folgt. Und dann entsteigt das Quintett diesem Fast-Untergang noch stärker, noch wuchtiger. Was die beiden Stimmen in den Schlussminuten abziehen, spottet jeder Beschreibung – ein beklemmendes Scream-Festival, begleitet von einem monolithischen Instrumental.
Tatsächlich wachsen die Belgier ein weiteres Mal über sich hinaus. Wie? Nun, das lässt sich schwer in angemessene Worte kleiden. Die schiere Wucht von „De Doorn“ sollte eigentlich nicht überraschen, das gelang bereits auf den vergangenen Messen hervorragend. Und doch hat diese Sammlung zweier Feuerrituale das Zeug, diese sogar zu übertreffen. Ob das tatsächlich so eintritt, wird die Zeit zeigen, doch bekommt diese leicht veränderte Dynamik Amenra sehr gut. Die neue Sprache, die beiden Stimmen, die bedrohlichen Aufbauten und Zäsuren – all das führt zu einer weiteren monumentalen Post-Metal-Masterclass.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 25.06.2021
Erhältlich über: Relapse Records (Membran)
Facebook: www.facebook.com/churchofra
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