Boss Keloid – Family The Smiling Thrush
Boss Keloid sind absolut durchgeknallt. Seit Jahren verbinden die Briten Progressive Rock und Metal mit psychedelischen Klängen der komplett durchgeknallten Art und erinnern damit durchaus an noch durchgeknalltere Mastodon. Und selbst dieser Vergleich greift zu kurz, denn die komplexen und doch überaus zugänglichen Sounds scheinen gleichzeitig überall und nirgendwo anzudocken. „Family The Smiling Thrush“ ist bereits das fünfte Album der Band in gerade einmal elf Jahren und reißt letzte Barrikaden ein.
„Orang Of Nyon“ ist in vielerlei Hinsicht eine wunderbare Einstiegshürde. Der Track nimmt gleich neun Minuten in Beschlag, dreht und windet sich nach allen Regeln der Kunst und ist zudem ein wunderbarer Hybrid aus allem, was Boss Keloid spannend macht. Es dauert fast drei Minuten, bis der psychedelisch wabernde Auftakt und die bärbeißige Schwere für harmonische Momente zwischen Genghis Tron und Baroness zusammenfinden. Dicht und druckvoll, zugleich majestätisch und irgendwie abgehoben – Boss Keloid hängen zwischen den Welten, gelegentlich in den Seilen, und finden süßliche Melodik nebst intensiver Wucht.
Das folgende „Gentle Clovis“ verdichtet das Geschehen und gestaltet es wesentlich kompakter, etwas ruppiger und auf den Punkt. Und doch sind wieder alle Zutaten am Start. Ein kurzes, wirres Break führt auf sanfte Wölkchen, eine Art Chorus brennt sich mit hymnischer Intensität ein, zugleich ziehen wütende Schatten durch. Am Härterad drehen die Briten allerdings nur selten, verwenden es beispielsweise in „Cecil Succulent“ für dramatische Effekte, die sogar Thrash-Biss antäuschen, nur um sich in nächster Sekunde wieder in Harmonie und Griffbretthexerei aufzulösen. Schließlich packt „Flatt Controller“ diesen Biss in ein erhabenes Finale, dessen Hauptteil sogar kurz an die 60s- und 70s-Prog-Urväter erinnert. Die Melodie geht nicht mehr aus dem Kopf.
Oberflächlich mag man an Harmoniebedürfnis glauben, dahinter wird es vertrackt und verkopft: Psychedelic P*rn Crumpets mit all ihrer vorwitzigen Ironie und Suche nach wabenderen Exkursen treffen auf die Prog-Sludge-Urväter, die sich längst von kompromissloser Härte verabschiedet haben, und stapeln King Criimson sowie Pink Floyd obenauf. Das trifft Boss Keloid zumindest zu weiten Teilen, und doch schwingt noch so viel mehr auf „Family The Smiling Thrush“ mit. Ja, es ist eine schwierige und stellenweise schwer nachvollziehbare Platte. Ja, die Stilbrüche sind krass. Ja, die hymnischen Melodien können schon mal klebrig ausfallen. Und nichts davon stört wirklich. Zu beobachten, wie das Album nach und nach zusammenkommt und dabei fast schon rührende Exkurse abwirft, reißt mit. Es scheint noch Potenzial für eine weitere Eskalationsstufe vorhanden zu sein, doch bereits jetzt wollen und müssen Boss Keloid für ihren sympathischen Wahnsinn einfach gehört und zelebriert werden.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 04.06.2021
Erhältlich über: Ripple Music (Bertus)
Facebook: www.facebook.com/bosskeloidband
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