The Ocean – Phanerozoic Live
Vergangenes Frühjahr hielten The Ocean zwei Live-Konzerte in einem kulturellen Vakuum ab, so die drastische Beschreibung im Begleittext. Tatsächlich trifft es diese Aussage hervorragend, denn die beiden Streaming-Gigs ohne Publikum fanden in einer Ära brachliegender Bühnen statt, gespenstisch und doch so dringlich zugleich. Beide Shows gibt es nun als Livealbum: „Phanerozoic Live“ fasst beide Teile des Konzeptwerks zusammen, in höchst unterschiedlichen Settings eingespielt und dennoch – vielleicht auch gerade deswegen – so eindringlich, so faszinierend, so mitreißend.
Der erste Teil behandelt „Phanerozoic I: Palaezoic“ in voller Länge, wie eine klassische Show frontal eingespielt, bloß ohne anwesendes Publikum. Dieses streamte die Show als Teil der „Club 100“-Serie. Über weite Strecken glaubt man keinen großen Unterschied zur Album-Version zu hören – natürlich wirkt der Sound etwas anders, finden sich kleinere Abwandlungen, aber eben auch kein Applaus. „Cambrian II: Eternal Recurrence“ macht es vor mit seinem Donnerhall und mit grandiosen Vocals. Dicke Harmonien, pure Wut, zunehmend proggiger Unterbau und plötzlich wechselnde Stimmungen reißen von den Sitzen. Als Höhepunkt entpuppt sich „Devonian: Nascent“, das gefühlt ununterbrochen anwächst und anschwillt. Die Art und Weise, wie die Band den Track aufbaut und sich scheinbar mühelos durch den Monolithen tankt, ringt Respekt ab.
Für das „Roadburn Redux“-Online-Festival wurde „Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic“ als cineastische Erfahrung aufgenommen – abermals komplett für sich, doch nun in einem Kreis stehend, sich gegenseitig „anspielend“, und das bei eisiger Kälte. Zwischen den Tracks musste man sich immer wieder die Finger wärmen und legte die Energieleistung in mächtige Intensität um. „Jurassic | Cretaceous“ klang noch nie so gut und so fieberhaft, wobei vor allem der verspielte, instrumentale Mittelteil unterhält. Auch die kürzeren, zuweilen ruhigeren Stücke funktionieren prima. „Oligocene“ trägt klassische Post-Rock-Strukturen in sich und klingt stellenweise wie eine Studio-Aufnahme. Das beißende Drama von „Pleistocene“ sorgt hingegen für dauerhaften Alarmzustand für alle Sinne und blüht im brachialen, kernigen Post-Black-Metal-Abschnitt so richtig auf.
„Phanerozoic Live“ klingt nicht nur aufgrund des abwesenden Publikums keinesfalls wie ein typisches Live-Album. Vielleicht mag es nicht gerade neu sein, komplette Alben auf die Bühne zu bringen. The Ocean tun das nicht nur doppelt, ihr Spiel ist unheimlich sauber und präzise, ohne dabei auch nur im Geringsten klinisch zu wirken. Viel mehr ist es in Ermangelung klassischer Konzerte ein wunderbarer Abschluss für dieses mächtige Doppel, das nun eben ein mehr als gebührendes Bühnen-Denkmal erhielt. Abermals erreichen The Ocean einzigartige Sphären mit scheinbar erstaunlicher Leichtigkeit.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 26.11.2021
Erhältlich über: Pelagic Records (Cargo Records)
Facebook: www.facebook.com/theoceancollective
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