Underoath – Voyeurist
Ausgerechnet ein Konzert ohne Publikum beflügelte Underoath zu neuen Songwriting-Höchstleistungen. Ihr Livestream-Event „Underoath: Observatory“ setzte ungeahnte kreative Kräfte frei. Dieses intime und zugleich monumentale Gefühl – eine Arena-Show fürs Wohnzimmer – sollte sich auf das neue Material niederschlagen. Und das gelang tatsächlich: „Voyeurist“ feiert eine Rückkehr zur Heavyness vor der kurzzeitigen Auflösung, nimmt aber auch die Alternative- und Rock-Elemente der Comeback-Platte „Erase Me“ mit.
„Hallelujah“, an zweiter Stelle gelegen, schlägt diese Brücke mehr als erfolgreich. Underoath packen eine der mächtigsten Hooks ihrer Karriere aus und geben sich dennoch wesentlich härter, wuchtiger. Zwischen angedeuter Elektronik, beißender Intensität und hymnischer Intensität entstehen drei Minuten mit hohem Suchtfaktor, auf die mit „I’m Pretty Sure I’m Out Of Luck And Have No Friends“ eine Art Power-Ballade folgt. Der experimentelle Minimalismus reduziert die Idee anfangs auf ein melancholisches Korsett, nimmt nach und nach weitere Spuren hinzu, nur um zum Ende hin abzuheben. Zwischen furiosen Screams und einer komplett abgefuckten Gitarre entsteht ein atmosphärischer Leckerbissen.
Atmosphäre bietet auch „We’re All Gonna Die“ ohne Ende, bloß auf komplett andere Weise. Screamo-artige Einschübe treffen auf dicke Alternative-Spannungsbögen sowie die Unberechenbarkeit des etatmäßigen Post-Hardcore-Spannungsfeldes. Das Breakdown bemüht hingegen wieder Emotionalität in reduzierter Reinkultur. „Damn Excuses“ macht von der ersten Sekunde an Druck und erinnert an die Kompromisslosigkeit der Anfangstage, während „Cycle“ mit Ghostemane gefühlt zwischen drei Horror-Stühlen sitzt. Die aggressiven Gast-Vocals kommen gut und setzen einen willkommenen Gegenpol. Für das große Finale „Pneumonia“ nehmen Underoath hingegen alles mit, was sich an monumentaler Atmosphäre angesammelt hat, und pressen es in sieben Minuten. Zwischen aufwühlenden Zäsuren und spontanen Explosionen entsteht ein eindrucksvolles Pulverfass.
„Voyeurist“ ist ein nervöses und zugleich hochgradig selbstbewusstes Werk. Tatsächlich konnte die gesetzte Mission erfüllt werden, das neue Album wirkt intim und zugleich unfassbar groß. Als Bonus nehmen Underoath so ziemlich alles mit, was sie bislang machten, wobei der Fokus gewiss auf dem Übergang, dem Missing Link zwischen „Ø (Disambiguation)“ und „Erase Me“ liegt. Dichte Atmosphäre, brachiale Explosivität, viel Gefühl und unorthodoxe Hymnen geben sich die Klinke in die Hand. Underoath haben sich endlich wieder gefunden und sind obenauf, wie sich das eben gehört.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 14.01.2022
Erhältlich über: Fearless Records / Spinefarm Records (Universal Music)
Website: underoath777.com
Facebook: www.facebook.com/underoath
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