Colored Moth – Inertia

| 20. Juni 2022 | 0 Comments
Colored Moth

(c) Colored Moth

Die chaotische Abrissbirne rotiert wieder: Fast drei Jahre nach „DIM“ melden sich Colored Moth mit einem neuen Album zurück. Das Berliner Trio versteht sich sich weiterhin auf vertracktes Hardcore-Chaos mit Noise-, Punk- und Post-Auslegern, so harmoniebedürftig wie selbstzerstörerisch. Zehn Songs sind es geworden, die für kompletten Wahnsinn mit ungewöhnlichen Hooks und steter Sinnsuche werben. „Inertia“ spinnt den anspruchsvollen, unorthodoxen Faden in aller emotionaler Präzision weiter.

„Shora“ eröffnet in media res mit greifbarer Verzweiflung in den Stimmbändern und einer dicken Schwere, die an Touché Amoré erinnert. Colored Moth stülpen jedoch ihren eigenen Ansatz drüber, der eine Spur kratziger ausfällt, dessen Noise-Punk-Attitüde mit vorhersehbaren Erwartungen kollidiert und sich schließlich selbst zerfleischt. Entsprechend bedeutungsschwanger wirkt der verzerrte Basslauf im Intro von „Second To None“. Nach und nach kommen die restlichen Instrumente hinzu, und doch bleibt der Exkurs eher eine Suche nach dem idealen musikalischen Moment, nach der richtigen Auflösung einer sperrigen, in der zweiten Hälfte zuweilen an Botch erinnernden Idee.

Als steter Unruheherd erweist sich „Femtosecond“, dessen manische Anwandlungen zwischen wütenden, hoffnungslosen Vocals und nicht minder sperrigen instrumentalen Kostproben pendeln – ein Song stetig auf dem Sprung, wohin auch immer dieser führen mag. „Interlinked“ fühlt sich ebenfalls zwischen den Stühlen wohl. Trostlose Melodik-Ansätze treffen auf furiose Hardcore-Punk-Explosionen aus der Westentasche; stets jenem absoluten Wahnsinn nahe, den zuvor das zerschlissene „New Blueprint“ wie eine Art (Post-)Hardcore-Vision der Zukunft zu erschließen suchte.

In gut 27 Minuten zerlegen Colored Moth einmal mehr Genre-Vorurteile mit spontaner Präzision – ein erfrischender Widerspruch, der sich in nicht minder erfrischenden Wohlgefallen auflöst. Omnipräsente Husarenritte, die um die Ecke der Erwartungen denken, begleiten die Berliner durch ihr neuestes Werk. „Inertia“ ist gewiss alles andere als eine Easy-Listening-Platte, zuweilen betont unzugänglich, und dabei doch so charmant und eingängig, von attraktivem Wahnsinn durchzogen. Einmal mehr denken Colored Moth die Zukunft des Genres schon heute und beißen dabei mit Wonne in den sauren Noise-Apfel – die nächste Grenzerfahrung mit unheimlich viel Stil und vehementer Leidenschaft.

Wertung: 8/10

Erhältlich ab: 24.06.2022
Erhältlich über: Moment of Collapse Records (Broken Silence)

Facebook: www.facebook.com/coloredmoth

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Category: Magazin, Reviews

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