Long Distance Calling – Eraser
Das Ende naht mit riesigen, nahezu unaufhaltsamen Schritten. Nein, Long Distance Calling wollen sich keinesfalls verabschieden, doch widmen sie ihr neues Studioalbum allerlei Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind. Nach dem deutlich elektronischeren „How Do We Want To Live?“ sollten es unbedingt wieder echte Instrumente sein, um echte, lebendige Tiere darzustellen, so Tieftöner Jan Hoffmann. Und doch können die Instrumental-Rock-Veteranen auch mit „Eraser“ im besten Sinne überraschen und begeistern.
„Sloth“ schlägt tatsächlich ungewohnte, verschlungene bis jazzige Töne an. Jørgen Munkeby von den norwegischen Shining rückt mit seinem Saxofon an, während Long Distance Calling zunächst ominös, dann eindringlich bis proggig die behäbigen Wege des Faultiers untermalen – ein waschechtes kleines Meisterwerk und zugleich angenehm anders. Im Vergleich dazu mutet das der Honigbiene gewidmete „Blood Honey“ konventionell an, was natürlich alles andere als schlecht ist. Das konzentrierte, clevere Spiel mit Laut-Leise-Dynamik, mit Ebbe und Flut, mit Post-Gezeiten und ungemein präzisem Rhythmus geht voll auf. Über die gesamten zehn Minuten findet sich keinerlei Langeweile.
„Eraser“, der abschließende Titelsong, ist dem Menschen gewidmet, was durchaus zu erwarten war. Die Instrumentierung glänzt dafür durch beeindruckende Vielschichtigkeit. Zunächst bemühen sich Long Distance Calling um angriffslustige Spielfreude, die gerne mal in metallische Gefilde schielt, während die zweite Hälfte von bedrückender Resignation und zarten, trauernden Streichern gekonnt umspielt wird. Eine Dokumentation über einen Grönlandhai inspirierte hingegen zum Konzept dieser Platte. In „500 Years“ rückt das Tier in den brodelnden Mittelpunkt eines lebhaften, aufbrausenden Arrangements, das in mehrere Richtungen zerrt, über die Stränge zu schlagen scheint und doch mit konzentrierter Intensität ein pointiertes Statement setzt.
Ein konzentrierter Schritt zurück spült Long Distance Calling meilenweit nach vorne und sorgt für die beste Platte seit „The Flood Inside“. Wechselhaft und doch wie aus einem Guss, so oder so ähnlich lässt sich „Eraser“ zusammenfassen. Das Quartett bricht einmal mehr aus etwaigen Post-Rock-Grenzen aus, ohne das Rad neu zu erfinden, bringt jazzige und proggige Vibes ein, lebt aber ebenso den geschickten Stimmungsaufbau vor. Zudem reißt das übergeordnete Konzept auf musikalische und emotionale Weise mit – eine absolute Perle von einem Album, dessen Schönheit sich mit jedem Durchlauf neu entfaltet.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 26.08.2022
Erhältlich über: earMUSIC (Edel)
Website: longdistancecalling.de
Facebook: www.facebook.com/longdistancecalling
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