Norma Jean – Deathrattle Sing For Me
In den vergangenen beiden Jahren hatten Norma Jean mehr als genug Zeit und nutzten das aus. „All Hail“ war ein weiterer Volltreffer für die Chaoten mit Stil, auf dem neunten Album wollte man etwas wagen. Unzählige Schichten und Samples sowie die Post-Production als eigenes Element und ein schmaler Blick über die eigenen Scheuklappen sollten folgen. „Deathrattle Sing For Me“ ist gewiss eines ihr ambitionierteren Werke … und mit Sicherheit eines ihrer besten.
„Call For The Blood“, noch dazu ursprünglich als erste Single ins Rennen geschickt, lehnt sich betont weit aus dem Fenster und versucht viel. So wurden einige Ideen aufgenommen, manipuliert, im Studio bearbeitet und dann nochmals eingespielt – entsprechend zerrissen, synthetisch und brodelnd klingt der Track, begleitet von unfassbar lauten Drums, psychotischen Gitarren und genereller Übersteuerung. Daran muss man sich erst gewöhnen, doch geht das mächtige Bollwerk auf. Ähnliches gilt für „Aria Obscura“, dessen melodische, klare Passagen mit den eigenen Post-Hardcore-Grenzen spielen und zwischenzeitlich von beißernder, geifernder Wut im klassischen Norma Jean-Stil zersetzt werden. Entsprechend unwirklich präsentiert sich dieses Pulverfass, das mit wachsender Begeisterung explodiert.
Der wundervolle Minimalismus von „Penny Margs“ klingt ebenfalls stark nach Post-Production, zersetzt sich gerade in den ruhigen Momenten selbst. Die unvermeidbare Explosion taucht hingegen in extreme Metal-Gefilde ab und landet einen Volltreffer – eine brutale, brachiale zweite Hälfte mit Nachdruck. Wie „Spearmint Revolt“ immer wieder eingängige Momente aus dem ansonsten ruppigen Dickicht schält, kommt ebenso gut wie die abgehangene Wut von „Sleep Explosion“, dessen düsteres, erneut übersteuertes Breakdown mit präziser Wucht zuschlägt. Und dann ist da noch „Heartache“, das gut achtminütige Finale, ein kleines Kunstwerk mit zig Spuren, mit ineinander verflochtenen Spannungsfäden, mit exakten Zäsuren und unbequemem Grundtenor. Das Unheil ist stets nur einen Ton entfernt.
Norma Jean wollten eine Platte erschaffen, die mit Kopfhörern erkundet werden will, um auch tatsächlich alle Details und Wendungen zu erfassen. Die Band weiß selbst nicht, ob sie sich diesen Aufwand erneut antun möchte. Tatsächlich ist das Konzept ein voller Erfolg und zählt zu den stärksten Werken der Veteranen. Kaputte, druckvolle Verzahnung, bewusste Übersteuerung, hymnische Auflösung und das mittlerweile vertraute Chaos schaffen eine eindrucksvolle Symbiose, die das Quintett in absolut bestechender Form zeigt. „Deathrattle Sing For Me“ ist kaputt und überfordert bewusst, belohnt dafür mit vertrauter Intensität und angenehm kauzigen Details – gewiss eines der großen Highlights dieses zermürbenden Jahres.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 12.08.2022
Erhältlich über: Solid State Records (Membran)
Website: normajeannoise.com
Facebook: www.facebook.com/normajean
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