Russian Circles – Gnosis
Im Verlauf ihrer bisherigen sieben Alben häuteten sich Russian Circles wiederholt. Post Rock und Post Metal dien(t)en als Dreh- und Angelpunkt, begleitet von so unterschiedlichen Spielarten wie Folk-Ballade und Noise Rock. Für ihr neues Werk änderte das Trio jedoch den Songwriting-Ansatz – notgedrungen, da die geographische und pandemische Distanz keine gemeinsamen Aufnahmen ermöglichte. Stattdessen schrieb man komplette Songs und nahm diese auf, bevor sie mit den anderen geteilt wurde. Entsprechend behielten alle Tracks auf „Gnosis“ ihre eigentliche Vision.
Doch nicht nur das, man verzichtete nahezu komplett auf die cineastische bis epische Dimension des eigenen Sounds und widmete sich stattdessen vornehmlich harschen, schroffen, brachialen Tönen. In „Betrayal“ kommt dieser Wahnsinn sehr gut zum Vorschein. Geschickt nach dem kleinen, ominösen Zwischenspiel „Ó Braonáin“ eingebunden, fallen Russian Circles mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus und packen eine rastlose Wut aus, die eher auf Post Black Metal verweist. Bei diesem Dauerfeuer bleibt es selbstverständlich nicht, und dennoch dominiert die Brutalität über weite Strecken mit erschütterndem Selbstbewusstsein. Dezente Erinnerungen an Brian Cooks frühere legendäre Band Botch werden wach, nur einen kleinen Math-Twist vom absoluten Wahnsinn entfernt.
Diese Extreme sind zwar kein Dauerzustand, dennoch gehen Russian Circles vornehmlich mit aller Vehemenz nach vorne. Das eröffnende „Tupilak“ kokettiert mit ureigenem Sperrfeuer, schlägt ein wenig um sich und ersäuft beinahe in der eigenen Distortion. Auch „Vlastimil“ setzt zeitweise auf Blast-Action, auf furiose Energie. Dezent epische Anleihen in der zweiten Hälfte treten einen Hauch Melodik los. Im abschließenden „Bloom“ klingt das Trio fast schon versöhnlich und nähert sich vertrauteren Post-Rock-Dimensionen an – wunderbar auf den Punkt, ausufernd, sogar von zarter Schönheit umgarnt.
„Gnosis“ könnte der Soundtrack der letzten beiden Jahre sein, geprägt von Verzweiflung, Aussichtslosigkeit und rastloser, atemloser Wut über eine Gesellschaft, die sich selbst torpediert. Der kleine Hoffnungsschimmer am Ende passt ebenso wunderbar ins Bild und sorgt für die vielleicht härteste Platte von Russian Circles überhaupt, tiefer denn je in Noise-, Metal- und Postcore-Gefilden verankert. Bratende Brutalität kreiert magische Momente der unnahbaren Art – eine spannende Facette, die vollends ausgereizt wird. Auch nach mittlerweile acht Alben bleiben Russian Circles im besten Sinne unvorhersehbar und aufregend.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 19.08.2022
Erhältlich über: Sargent House (Cargo Records)
Website: russiancirclesband.com
Facebook: www.facebook.com/russiancirclesmusic
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