Metallica – 72 Seasons

| 28. April 2023 | 0 Comments
Metallica

(c) Tim Saccenti

Die ersten 18 Jahre – oder 72 Jahreszeiten – des Lebens legen den Grundstein für die Zukunft. Diese formative Zeit nehmen Metallica auf ihrem elften Studioalbum ins Visier. Mangels Tour-Möglichkeiten ging es bei den Thrash-Urvätern wesentlich schneller als gedacht (im Verhältnis; „Hardwired…To Self-Destruct“ hat sechseinhalb Jahre auf dem Buckel), Kirk Hammett entdeckte wohl die Cloud für sich und Rob Trujillo ist so prominent wie nie vertreten. Aber können die (Bald-)60er mit „72 Seasons“ tatsächlich noch frische Akzente setzen?

Freilich, Wunderdinge darf man nicht erwarten. Vorneweg: Das neue Album ist (erneut) viel zu lang geworden, 77 Minuten hätte es wahrscheinlich nicht gebraucht. Zudem hinken die Drums gerne mal hinterher. Lars Ulrich bringt wenig rhythmische Abwechslung ein, das repetitive Scheppern im Hochton-Bereich geht an die Substanz, zudem hätte der Rotstift beim einen oder anderen (überlangen) Track nicht geschadet. Und doch hat „72 Seasons“ verdammt viele starke Qualitäten, wie bereits der eröffnende Titelsong eindrucksvoll zeigt. Etwas überraschend bestreitet Trujillos schrubbender Bass den Anfang, dann bäumt sich eine Monstrosität von der Güteklasse eines „Spit Out The Bone“ auf. Ordentlich Speed, knackiges Riffing und ein paar kleinere Wendungen treiben diesen höllischen Bastard an, der live bestimmt abräumen wird.

Häufig regiert jedoch das Midtempo, was schon mal aufs Gemüt drücken kann. Dabei gibt es hier einige richtig gute Songs, wie „If Darkness Had A Son“, dessen drückender Groove nicht mehr aus dem Ohr geht, oder das erfrischende „Shadows Follow“, das zwar überaus vertraut wirkt, aber richtig schön muskulös ausfällt. Ob es das mit dezentem „Reload“-Charme ausgestattete „Crown Of Barbed Wire“ oder den „Sad But True“-Aufguss „You Must Burn!“ gebraucht hätte, sei dahingestellt. Immerhin wachsen beide Songs mit der Zeit und wissen zumindest zeitweise zu unterhalten. Auch „Sleepwalk Your Life Away“ muss sich erst finden. Vom kleinen Bass-Solo zu Beginn bis zur finsteren Manie ergibt sich allerdings ein kleiner Sleeper-Hit.

Neben dem Opener wollen jedoch drei Tracks besonders hervorgehoben werden. Da wäre einerseits „Room Of Mirrors“, das einerseits ausnahmsweise das Tempo etwas in die Höhe schnellen lässt, und andererseits in der zweiten Hälfte mit zweistimmigen Gitarren überrascht. Dieser kleine Querverweis auf Iron Maiden und Thin Lizzy kommt gut, speziell wenn der Track zusätzliche Kniffe und Wendungen annimt. Der erste Vorbote „Lux Æterna“ ist hingegen ein herrlicher, kurzer und knapper Tribut an die Anfangstage nebst mächtigem NWOBHM-Einschlag – simpel, aber verdammt effektiv. Einfach ist das abschließende „Inamorata“ nicht, denn mit stattlichen elf Minuten wagen sich Metallica an die Über-Überlänge. Ja, eines der Lead-Riffs erinnert stark an „Are You Gonna Go My Way“, doch funktioniert der dichte und doch ausufernde Ausbau mit seinen engmaschigen melodischen Texturen und den mächtigen Schleifen der Schlussminuten fantastisch.

Während Trujillo präsenter denn je ist, Hammett einige starke Soli einstreut und Ulrich immerhin einigermaßen zweckdienlich unterwegs ist, überstrahlt James Hetfield sie alle. Tiefer denn je bohrt er im Trauma seiner Kindheit und Jugend (manche Textpassagen erinnern an Szenen aus „Some Kind Of Monster“, als man er vor seinem Entzug erste Gesangsspuren aufnahm arbeitete), zudem wirkt die Stimme so frisch und kraftvoll wie eh und je. Auch fällt der Sound deutlich besser als auf den Vorgängern aus. Ja, „72 Seasons“ ist viel zu lang, hätte locker zwei Songs weniger sowie ein paar andere Kürzungen vertragen, doch behalten Metallica ihre starke Form bei. Sieht man von ein paar Schönheitsfehlern ab, finden sich einige bärenstarke Nummern und kommende Live-Favoriten sowie der eine oder andere Grower auf einer unterhaltsamen, erwartungsgemäßen und dennoch häufig aufregenden Platte. Mehr braucht es nicht zum großen Metal-Glück.

Wertung: 8/10

Erhältlich ab: 14.04.2023
Erhältlich über: Blackened Recordings (Universal Music)

Website: www.metallica.com
Facebook: www.facebook.com/Metallica

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Category: Magazin, Reviews

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