The Gorge – Mechanical Fiction
Vier Jazz-Musiker aus St. Louis widmen sich in ihrer Freizeit metallisch-progressiven Extremen. Was sich wie das perfekte Rezept für Egotrips, endlose Soli und Gniedelei liest, nimmt in den Händen von The Gorge durchaus magische Züge an. Nach zwei Platten ist das US-Quartett nun bei Pelagic gelandet, wo ihr komplexer und zugleich packender Sound, der diverse Math-, Prog-, Metal- und Core-Gefilde abdeckt, ein perfektes Zuhause findet. „Mechanical Fiction“ ist ein wunderbar zermürbendes Happening geworden.
„Earthly Decay“ könnte als alternative Überschrift für die gesamte Platte stehen, kommt unfassbar lässig und zugleich eindringlich ums Eck. Der recht lockere Mix aus Bass und Schlagzeug zu Beginn kann die jazzigen Wurzeln nicht verleugnen, die dissonante Gitarre samt heiseren Schreien kommt hingegen eher aus dem Breach-Lager. Was dem Papier nach nicht zusammenpassen darf, harmoniert jedoch verdammt gut. Laufend deuten The Gorge eine Eskalation der Ereignisse an, arbeiten auf beißende Explosionen hin, nur um sich im richtigen Moment einzubremsen und durchzuatmen. Der bratende Schlussakt mit unterschwelligen Djent-Qualitäten will keinesfalls unterschlagen werden.
Hingegen geht „Synapse Misfire“ von Anfang an in die Vollen dank Math-Riffing und drückender Wucht. Die Tonleiter wird mit Gusto attackiert und zerlegt, die vielen kleinen Zwischensprints kommen gut. Danach ruft das ellenlange „Remnants Of Grief“ sämtliche Qualitäten ab. Nicht zum letzten Mal setzt es mächtiges Mastodon-Riffing, technisch versierte Ansätze kollidieren mit omniöser Atmosphäre. Kleine Einschübe, wie die Reduktion nach viereinhalb Minuten, verstören im besten Sinne, bereiten zudem dem anschließenden katastrophalen Wutausbruch eine nahezu perfekte Bühne.
Gewöhnungsbedürftig, schwierig, aber eben auch unfassbar gut: Es braucht schon etwas Geduld, bis sich so etwas wie ein Zugang zu „Mechanical Fiction“ erschließt. Die instrumentale Klasse der beteiligten Musiker lässt sich nicht von der Hand weisen und kommt immer wieder durch, ohne je aufdringlich zu wirken. The Gorge nehmen progressive musikalische Konzepte als eine Art Vorschlag, als Grundidee, nur um diese mit komplexen Math-Ansätzen, mit wütenden Riffs, mit beklemmender Atmosphäre und explosiven Tech-Husarenritten auszukleiden. Ja, es dauert, bis die Platte zündet, dann kommt man davon allerdings nicht mehr los – Post- und Prog-Welten für die nächste Generation, die Hörgewohnheiten im besten Sinne auf die Probe stellen.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 28.07.2023
Erhältlich über: Pelagic Records (Cargo Records)
Facebook: www.facebook.com/TheGorge
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