Spurv – Brefjære
Wenn die Berge und Birkenwälder des hohen Nordens sprechen könnten, welche Geschichten würden sie erzählen? Diese Frage kam dem frisch nach Tromsø am Polarkreis gezogenen Gustav Jørgen Pedersen und legte das Fundament für neue Musik. Der Hauptsongwriter von Spurv entwickelte daraus das Konzept für eine vielschichtige Platte, die sogar Material vor seiner Zeit beim cineastischen Post-Rock-Sextett beinhaltet. „Brefjære“ widmet sich Beobachtungen der Natur, begleitet von Interpretationen ihrer Klangspiele und existenziellen Monologen.
Kurze Exzerpte wie „Din pust fra stein“ verbinden diese Vorträge mit stilvoller, geradezu klassischer Anmut und reduzierter Instrumentierung. In „Å vente er å endre“ nimmt das sogar dezent folkige Züge an. Die große Kunst liegt jedoch in den überlangen Post-Exkursen, die alles wagen und alles richtig machen. Das gewaltige „En brennede vogn over jordet“ baut aus minimalster Percussion und einer schroffen wie monumentalen Gitarre eine gut neunminütige Monstrosität, die forsch und drückend vorangeht, die voller teils widersprüchlicher Gefühle ist, die nach Antworten auf nicht näher definierte Fragen sucht. Speziell das eskalierende Spiel mit Stimmungen ab der Fünf-Minuten-Marke – fragil und bezaubernd in einem, tosend und rau im nächsten Moment – geht unter die Haut.
In diesen ausladenden Giganten spielen Spurv ihre ganze Routine aus, klingen dabei jedoch zu jeder Zeit frisch und gewitzt. „Urdråpene“ illustriert das eindrucksvoll und zeigt, wie sehr der Schein trügen kann. Die wütende, aufbrausende Gitarre scheint auf Krawall gebürstet, doch sorgen zunehmende orchestrale Einsätze für Bombast, für Soundtrack-Atmosphäre, für ein Gegengewicht zur nahezu metallischen Epik. Beide Welten befinden sich im nahezu konstanten Konflikt, es bleibt bei einem Unentscheiden. Wer mehr von der feinen Klinge der Norweger hören möchte, wählt den Opener „Krokete, rettskafen“ – fünf stille, folkige Minuten, die mit unzähligen Stimmen und Streichern auf die nächste Abfahrt vorbereiten.
„Brefjære“ ist ein Ungetüm von einem Album, wie gemacht für gute Kopfhörer und ein besseres Glas Wein. Der aufbrausende, zugleich filigrane Post Rock ist für sich bereits ein Happening, doch macht erst das vermeintliche Drumherum den neuesten Streich von Spurv zum Leckerbissen. Folkige Weisheiten, symphonisch-orchestrale Texturen, drastische Texte und feinste Widerhäkchen wirken sich positiv auf die Dynamik aus. Zwischen zurückgelehnten Soundtrack-Qualitäten und geradezu metallischen Nackenschlägen entsteht abermals Großes. Spurv etablieren sich endgültig.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 22.09.2023
Erhältlich über: Pelagic Records (Cargo Records)
Facebook: www.facebook.com/Spurvinnen
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