Vestige – Janis
Zwei Viertel von Naraka wagen eine Art kreativen Neustart. Das französische Quartett Vestige sucht nach frischem Wind im Mikrokosmos von (Post) Black Metal, Progressive Rock, Shoegaze und Ambient. Sänger und Gitarrist Théodore Rondeau rief die Band ursprünglich als kreative Spielwiese für eine komplexe emotionale Reise ins Leben, die zutiefst menschlich ist und sich unter anderem Hoffnung, Verzweiflung und Katharsis widmet. Wenig überraschend verlangt „Janis“ offene Ohren und offene Herzen.
Wenn sich „Deviens La Nuit“ nach einem kurzen Intro mit sanften, geradezu fragilen Klängen erhebt, hört man erst einmal gut zu – zumindest bis die erste Druckwelle das Geschehen erfasst. Vergleiche mit den Deftones kommen gerade in den ruhigeren Passagen nicht von ungefähr – Prog, Alternative und Gaze finden zusammen und sorgen für unwirkliche, unnahbare Stimmung, bevor erste Growls entfremden und das Pulverfass kitzeln. Ein steter Wechsel zwischen melodischer Eingängigkeit, kauziger Wut und hymnischem Idyll stellt die Hörgewohnheiten auf die Probe. Nahezu konstant passiert hier etwas, fühlt man sich hin- und hergerissen, während Vestige ihren Emotionen Luft machen und geradezu Djent-artig abtauchen.
Es wird nicht einfacher, und das ist letztlich auch verdammt gut so. Auch „Corrosion“ tastet sich behutsam voran, holt gerade im epochalen Hauptteil einmal mehr die Deftones aufs Parkett und findet doch einen angenehm eigenwilligen Ansatz, gerade wenn des Geschehen in der zweiten Hälfte eskaliert. Der Zweiteiler „Automne“ arbeitet sich sehr langsam aus vorsichtigen Gefilden hervor, nur um in der Schlussminute des ersten Abschnitts das Hackbrett kreisen zu lassen. Im zweiten Teil mischt Neige von Alcest mit, was speziell den epischen Post-Black-Metal-Klangflächen zugutekommt – eine mehr als explosive Mischung. Auch in „Stigmates Du Temps“ wird es spektakulär, wenn wiederholte Druckwellen mit Modern Metal kollidieren.
Gleich mit ihrem ersten Lebenszeichen verlangen Vestige alles ab, und das geht absolut in Ordnung. Ja, „Janis“ ist selbst für Modern-Prog-Freunde eine Herausforderung, weil man eben mit wachsender Begeisterung imaginäre Grenzen überschreitet. Trippige Gaze-Ideen und elegische Ambient-Klanglandschaften bemühen falsche Sicherheit, metallische Breitseiten und filigraner Progressive Rock mit Djent-Einschlag setzen auf großen Anspruch, nur um später von komplexen Post-Black-Ausritten zerlegt zu werden. Die Zutaten sind alles andere als neu, die Mischung fällt jedoch packend aus: Vestige debütieren mit einem echten Achtungserfolg, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 06.09.2024
Erhältlich über: Season of Mist (Soulfood Music)
Facebook: www.facebook.com/vestigefr
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