The Old Dead Tree – Second Thoughts
Beinahe hätte es mit dem erhofften Comeback von The Old Dead Tree nicht geklappt. Nach der Auflösung 2009 gab es vier Jahre später eine Mini-Reunion zum runden Jubiläum ihres ersten Albums, bevor die Franzosen erst einmal wieder von der Bildfläche verschwanden. Ende Dezember 2019 kündigte das Quintett überraschend eine EP mit unveröffentlichtem Material an und wollte im Anschluss ausgiebig touren. Daraus wurde aus bekannten Gründen nichts, fast warf man erneut alles hin. Letztlich klappte es doch mit einem Konzert. Dann mit einem neuen Song. Und nun steht, nach 17 langen Jahren, mit „Second Thoughts“ tatsächlich ein komplett neuer Longplayer in den Startlöchern.
Nicht nur der Albumtitel trägt eine gewisse Ironie in sich, auch der Songname „Without A Second Thought“. The Old Dead Tree fahren erst einmal mit aller gebotenen Wucht rein und kotzen sich mit vertrauten Extremen aus, bevor feinsinnige Düsternis und proggig rockende Beinahe-Romantik das Heft in die Hand nehmen. Dreieinhalb Minuten lang wogt das Geschehen hin und her, voller melodischer Highlights und Nackenschläge. Das abschließende „The Worst Is Yet To Come“ (der LP-Version liegt dahinter noch das im Vorjahr veröffentlichte „Terrified“ bei) darf als Kampfansage verstanden werden und zeigt die Franzosen in Bestform. Zittriges Selbstbewusstsein lebt einen von vielen Widersprüchen dieser Platte aus, trumpft mit Heavyness und Melancholie auf.
Überhaupt zeigt sich das Quintett in bestechender Form. Der „Fresh Start“ gelingt, wenngleich die erst ruhige, dann zerrissene Ausrichtung dieses Tracks auffällt. Dichte melodische Texturen, fragile Gebilde und wohliger Tiefgang geben sich eine Art imaginäre Klinke in die Hand. Die hält auch der Opener „Unpredictable“ fest umklammert, überrascht mit dezentem Pop-Appeal und geht binnen Sekunden ins Ohr. So nah waren The Old Dead Tree einer großen Hymne schon lange nicht mehr. Einen weiteren Szenenwechsel verspricht „Luke“, das stellenweise semi-balladeske Züge aufgreift, ein wenig Grabesstimmung einbringt und mit Gothic-Chic sowie einem überlebensgroßen Gitarrensolo aufwartet. Auch diese Idee geht auf.
The Old Dead Tree melden sich richtig gut zurück und lassen die lange Durststrecke, die ausgedehnte Pause in Rekordzeit vergessen. „Second Thoughts“ tritt vor allem nicht auf der Stelle, sondern wagt sich erfolgreich zu neuen Ufern vor, wildert in verschiedensten Gefilden und schüttelt dabei richtig gute Songs aus dem Ärmel. Die alten Extreme sind zurück, ebenso das Faible für Finsternis, doch auch etwas Pop-Appeal, Dramaturgie in rauen Mengen sowie komplexe Prog-Ausritte mischen auf diesem Comeback-Album mit. Das französische Quintett trotz aller Widrigkeiten wieder zurück zu wissen, ist ein kleines Highlight, das sich dieses Jahr redlich verdient hat.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 06.12.2024
Erhältlich über: Season of Mist (Soulfood Music)
Facebook: www.facebook.com/TheOldDeadTree.Official
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