Sólstafir – Endless Twilight Of Codependent Love
Eine musikalische Karriere im konstanten Fluss, so oder so ähnlich lässt sich das Schaffen von Sólstafir zusammenfassen. Ihre Black-Metal-Wurzeln haben die Isländer weitestgehend hinter sich gelassen, ohne diese Türe komplett zu schließen. Mittlerweile in durchaus bittersüßen Post-Gefilden (Rock sowie Metal) angekommen, sucht das Quartett auch ein Vierteljahrhundert nach den ersten Gehversuchen weiterhin nach neuen Herausforderungen. „Endless Twilight Of Codependent Love“ hat nicht nur einen grandiosen Titel, sondern mischt mit Begeisterung sämtliche Lieblingsgenres der Musiker durcheinander.
Wie sich das für Sólstafir gehört, werden keine Gefangenen genommen. Zu Beginn wartet mit „Akkeri“ gleich ein Zehnminüter, denn warum auch nicht. Der Beginn wirkt süßlich, melancholisch und eingängig. In aller Gemächlichkeit hangelt man sich in den Track, nach 90 Sekunden legt sich ein Schalter um. Plötzlich fließt alles ineinander, die eierlegende Wollmilchsau dreht am Rad mit Post-Something und schwarzmetallischen Untertönen. Aðalbjörn Tryggvasons brüchige, klagende Stimme überschlägt sich wiederholt, bevor die erste ausgedehnte Zäsur folgt. Stetig wogt der Track hin und her, reißt imaginäre Mauern ein, nur um doch wieder mit vollem Elan zurückzukehren und das Gaspedal durchzutreten.
Dabei bleibt es selbstverständlich nicht: „Alda Syndanna“, eine der kürzeren Episoden, spielt mit Hard-Rock-Tönen, mit schwerfälliger Zerrissenheit und leicht kaputter Schlagseite, die schließlich hymnisch wird. „Drýsill“ orientiert sich hingegen an typischen Post-Rock-Aufbauten, gleitet gemächlich durch das Gebälk mit Anmut und Erhabenheit. Das finale Crescendo mit etwas Chaos brennt sich sofort ein. Ein weiteres Gustostückerl ist „Or“, dessen süßlicher Grundtenor zunächst irritiert. Nach knapp vier Minuten geht der Song durch die Decke und ruft, passend zum gewohnt schiefen Gesang, dicke und übersteuerte Gaze-Weisheiten ab.
Die Produktion ist nicht immer gelungen, wirkt eine Spur unausgeglichen und stellenweise unnötig laut. Was in den ruhigen, fragilen Momenten prima funktioniert, schlägt in den lauten, explosiven Momenten hingegen in brennendes Chaos um, wirkt eine Spur zu schwammig. Es soll bei diesem einzigen nennenswerten Schönheitsfehler bleiben, denn ansonsten zeigt „Endless Twilight Of Codependent Love“ Sólstafir in gewohnt starker Manier, zugleich giftig und verführerisch, harmonisch und zerstörerisch. Klar will dieser Klangwulst erst einmal sortiert werden – bei einer Spielzeit von über einer Stunde für die reguläre Auflage ohne Bonusmaterial gar nicht so einfach – doch lohnt sich diese erste Überladung allemal. Gewohnt mächtig, gewohnt komplex, gewohnt Sólstafir.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 06.11.2020
Erhältlich über: Season of Mist (Soulfood Music)
Website: www.solstafir.net
Facebook: www.facebook.com/solstafirice
Letzte Kommentare