Sodom – Genesis XIX
Kurz vor dem 40er legen Sodom nach. Die Thrash-Legenden um Tom Angelripper haben noch lange nicht genug und schlagen weiterhin mit voller Wucht um sich. Die ideale Mischung aus frischem Blut – Drummer Toni Merkel kam erst in diesem Jahr hinzu – und ausgewiesenen Veteranen (die 20 ruhigen Blackfire-Jahre hört man ihm zu keiner Zeit an) schlägt sich auch auf die Musik nieder. „Genesis XIX“ befasst sich mit biblischen Themen und zeitgenössischen Phänomenen, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Eines gleich vorweg: „Nicht mehr mein Land“ ist alleine schon lyrisch ein streitbarer Track geworden. Angelripper versucht sich bewusst in der politischen Mitte zu platzieren mit einem deutlichen Statement, dass es früher vielleicht doch besser war. Es geht um fehlende Freiheiten für Kinder, die nicht mehr unbeschwert aufwachsen können, sowie um gesellschaftliche Gräben, welche durch Corona endgültig aufgerissen wurden. Natürlich lassen sich die Lyrics zu einem gewissen Teil vereinnahmen, der schmale Grat wird äußerst wackelig bewandert, was sich allerdings nur schwer hätte vermeiden lassen. Dass der Track dafür richtig stark ist – Blastbeats, Groove und ein mörderisch eingängiger Refrain gehen Hand in Hand – sollte dabei nicht unter den Tisch fallen.
Diese spannende und nicht ganz einfache Episode ausgeblendet, ergibt sich das erwartet bärenstarke Album. Nach einem kurzen Intro hebt „Sodom & Gomorrah“ sofort ab. Fiese, martialische Druckwellen erinnern im besten Sinne an die Anfangstage. Gewohnt finstere, bissige Vocals treiben das Geschehen voran, dazu setzt es richtig schön klassischen Thrash mit dezenten, modernen Elementen zwischendurch. Das folgende „Euthanasia“ variiert das Tempo geschickt, bewegt sich zeitweise am Anschlag und deutet schließlich doch wieder Groove an. Vielleicht klingt das nicht gerade neu, dafür richtig schön bissig.
Natürlich ist „Genesis XIX“ von der vor fast auf den Tag genau vor einem Jahr veröffentlichten EP „Out Of The Frontline Trench“ am Start. Nun eine Spur kompakter und doch ausladender angehaucht – ein prima funktionierender Widerspruch in sich – entwickelt sich schnell ein urtypisches Sodom-Epos, das in „The Harpooneer“ eine fantastische Fortsetzung findet. Die doomige Einleitung führt auf die falsche Fährte, danach zeigt die Band kompositorisch alles zwischen feinster Melodik und forscher Energie. Zwischendurch lockern knappe, potenzielle Live-Hits das Geschehen auf. „Indoctrination“ und „Dehumanized“ verlangen förmlich nach der Bühne. Das ruppige, unbequeme und von grandioser Old-School-Energie begleitete „Glock ‚N‘ Roll“ brennt sich ebenfalls ein, quasi der versteckte Grower dieser Platte.
Auch auf ihrem 16. Studioalbum bleiben Sodom eine Bank. „Genesis XIX“ wird natürlich aufgrund „Nicht mehr mein Land“ heiß diskutiert werden und ermöglicht im Idealfall einen wichtigen, wenngleich potenziell erbittert geführten Diskurs. Tatsächlich handelt es sich um eine weitere bärenstarke, unwiderstehliche Platte, die alles abruft, was den Thrash-Urgesteine ihren mehr als verdienten Legendenstatus einbrachte. Brutale Abrissbirnen, versteckter Groove, hymnische Glanztaten und packende Epen: Sodom zeigen auch kurz vor dem 40. Geburtstag, dass sie in ihrem x-ten kreativen Frühling zeitlos bleiben.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 27.11.2020
Erhältlich über: Steamhammer (SPV)
Website: www.sodomized.info
Facebook: www.facebook.com/sodomized
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