The Hirsch Effekt – Urian
Scheinbar kennt die Energie und Kreativität von The Hirsch Effekt keine Grenzen. Seit 2020 gibt es jährlich zumindest einen Release, selbst aus und in der Distanz erarbeitet. Bemühte man sich zuletzt noch um getrennte Ausarbeitung, so kommt das Trio nun zusammen und versucht die musikalischen Extreme noch weiter auszuloten. Ja, das ist tatsächlich möglich, und so treffen auf dem neuesten Streich „Urian“ – ein unliebsamer Mensch, den man am besten direkt wieder loswerden möchte – viele weitere Gegensätze gekonnt und unterhaltsam aufeinander.
„Otus“ macht wunderbar vor, wohin die Reise geht, nimmt sich neuneinhalb Minuten Zeit und vermengt Djent-Riffing mit erstaunlich klassischen, klaren Prog-Fanfaren. Speziell der hektische, rhythmisch angeschlagene Bass geht ins Ohr, doch könnte dieser komplexe Bastard mit Tool-Schlagseite und TesseracT’scher Explosivität kaum weiter von derlei angedeuteten Funk-Ideen entfernt sein. Das krasse Gegenteil heißt „Blud“ und springt sogleich mit dem nackten Arsch ins Gesicht. Pure, ungefilterte Wut, Post-Black-Metal-Extreme, Math-Wahnsinn und konstant hohes Tempo kollidieren mit harmonischen Einschüben, mit ominösen Zäsuren, mit dem steten Streben nach der nächsten Wahnsinnstat.
Eingerahmt wird der neueste Streich von zwei sehr ruhigen Nummern. „Agora“ überrascht durch Reduktion, Akustik-Gitarren und Streichinstrumente, betont mystisch und unnahbar. „Eristys“ scheint dies weiterzudenken, arbeitet jedoch mit gelegentlichen cineastischen Soundtrack-Elementen – ein weiterer spannender, wenngleich vergleichsweise harmonischer Stilbruch. Davon findet sich auch in „Stegodon“ mehr als genug, als Triebfeder für eine gewaltige Modern-Prog-Hymne, bis obenhin mit technischer Brillanz und Spielwitz voll. Auch vom Titelsong geht einiges an Spannung aus. „Urian“ überschlägt sich zwischendurch, spielt mit Stakkato-artigem Cyber-Mathcore, öffnet das Herz für halsbrecherische Abfahrten und deutet Space-Chic an.
Überfordernd? Und wie, aber zugleich so lohnenswert: „Urian“ reißt abermals vermeintliche / imaginäre Grenzen mit Gusto ein, schlägt gekonnt über die Stränge und ringt selbst bestens etablierten Extremen frische Facetten ab. The Hirsch Effekt bringt erstaunlich eingängige, klassisch-proggige Ideen ein, nur um zugleich noch derber und vertrackter zu Werke zu gehen. Es dauert eine ganze Weile, bis sich der neueste Nackenschlag erschließt, doch lohnt es sich einmal mehr. Wiewohl hier bekanntermaßen sogar noch mehr geht, pendelt sich das Trio auf weiterhin hohem, verdammt hohem Niveau ein.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 29.09.2023
Erhältlich über: Long Branch Records (SPV)
Website: thehirscheffekt.de
Facebook: www.facebook.com/thehirscheffekt
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