Lis Er Stille – Nous
So klein Dänemark auch ist, so reich ist der nördliche Nachbar Deutschlands an spannenden Bands und Musikern verschiedenster Ausrichtungen. Prog-Fans mit einem Faible für abgedrehte Arrangements dürfte Lis Er Stille bereits ein Begriff sein. Das Quartett aus Århus veröffentlichte von 2006 bis 2010 drei Alben, die modernen Prog Rock mit Chorälen, Space-Ausflügen, Alternative-Klänge und einer Prise Metal mischten. Auf „Nous“ (altgriechisch für „(gesunder) Menschenverstand“) drehen sie die Art Rock-Daumenschrauben noch ein wenig fester und präsentieren eine aufregende, vielschichtige Platte zwischen Muse, Ulver und Porcupine Tree.
Gerade einmal sechs Songs werden innerhalb von 45 Minuten Spielzeit abgehandelt, teils auch jenseits der Neun-Minuten-Marke. Der Opener „Human Head“ erinnert mit seinem verschachtelten Rhythmus, den glockenhellen Gitarrenklängen und den leicht entrückten Vocals an Muse – nicht zum letzten Mal auf diesem Album, denn die Briten scheinen den Sound von Lis Er Stille entscheidend beeinflusst zu haben, gerade was die Falsett-Passagen betrifft. In neun Minuten Laufzeit passiert viel: Orgel-Klänge, balladesker Mittelteil und ein hochtrabendes, ekstatisches Finale geben sich die Klinke in die Hand. Beinahe möchte man seine Arme zum Himmel recken und die Schönheit des Moments umarmen, wenn Martin Byrialsen die letzten Noten mehr wimmert als singt, sich emotional vollends verausgabt.
Eine wichtige Rolle auf dieser Platte kommt Drummer Jon Gotlev zu, dessen donnernde Fills für die Dynamik der einzelnen Songs (siehe und höre vor allem „The Bail“) entscheidend sind. In „Myte“ machen sich die Dänen regelrecht nackt, arbeiten siebeneinhalb Minuten lang mit weitestgehend akustischer Instrumentierung an einer betont zarten, fragilen Ballade in ihrer Landessprache. Als eine Art großer Bruder des Openers macht sich „Torches“ dazu auf, die Magie der aktuellen Opeth-Platte mit dem faszinierenden, sperrigen Auftreten von Crippled Black Phoenix zu paaren, während die spacigen Gitarren immer und immer wieder Muse, gelegentlich sogar Pink Floyd fordern. Besonders spektakulär: der wütende, beinahe metallische Mittelteil, in dem Lis Er Stille kurzzeitig im Chaos versinken, nur um für den finalen Schlussakkord wie Phönix aus der Asche zu steigen.
Selbst der zu Beginn ein wenig zu unterkühlte, erst spät aufdrehende Rausschmeißer „Asylum/Reap“ schadet den Mannen aus Århus nicht, denn der Gesamteindruck ist absolut überzeugend. Von vorne bis hinten ist „Nous“ in sich stimmig, am ehesten neben spacigen Muse mit den wirren Norwegern Leprous zu vergleichen. Lis Er Stille wirken völlig losgelöst und vermengen auf geschickte Art und Weise klassische Prog-Elemente mit Rock-Schemata und Post-Kammermusik, mit geschickt eingesetztem Pomp und ordentlichen Cojones, wenn es darauf ankommt. Auf ihrem vierten Album kommen die Dänen der Perfektion beängstigend nahe. Dem Geheimtippstatus sollten sie nunmehr endgültig entwachsen sein.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 09.03.2012
Erhätlich über: VME (Soulfood Music)
Website: www.liserstille.dk
Facebook: www.facebook.com/liserstille
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